Grundsatzentscheidung zur Arbeitszeiterfassung

13. Februar 2023
Tags:
  • Arbeitsrecht

(Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13. September 2022 – 1 ABR 22/21)

Ausgangspunkt

2019 hatte der Europäische Gerichtshof mit seiner Entscheidung für Aufsehen gesorgt: Arbeitgeber sollten die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten erfassen und die Mitgliedstaaten sollten die konkrete Umsetzung bestimmen. Unklar war, ob die Entscheidung bereits bindend ist oder ob es erst einer Gesetzesänderung bedarf und welchen Druck Betriebsräte hierbei ausüben könnten.

Der Fall

Der Arbeitgeber betreibt eine vollstationäre Wohneinrichtung. Arbeitgeber und Betriebsrat hatten eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit abgeschlossen. Zusätzlich verhandelten sie über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Die Verhandlungen scheiterten jedoch und der Arbeitgeber weigerte sich, eine elektronische Zeiterfassung einzuführen. Der Betriebsrat meinte, dass ihm ein Initiativrecht bezüglich der Einführung der Arbeitszeiterfassung zustehe und ging damit vor Gericht. Er begründete seine Auffassung damit, dass ein solches System dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten diene.

Ein Initiativrecht hat der Betriebsrat vor allem bei den in § 87 BetrVG geregelten Mitbestimmungsrechten. Eine Ausnahme galt bisher lediglich bei der Einführung von technischen Einrichtungen.

§ 87 BetrVG macht aber auch Ausnahmen: Wenn bereits eine (abschließende) gesetzliche oder tarifliche Regelung besteht, hat der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht.

Das Bundesarbeitsgericht musste also klären, ob der Arbeitgeber bereits gesetzlich verpflichtet ist, die Arbeitszeiten zu erfassen. Das Gericht bestätigte eine solche gesetzliche Verpflichtung.

Die Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht hat das Initiativrecht des Betriebsrates verneint. Denn der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Arbeitsschutz zu treffen, um die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu gewährleisten (§ 3 Abs. 1 S. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Zudem muss er für eine geeignete Organisation des Arbeitsschutzes sorgen (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG). Und dazu zählt - vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes - nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts auch die Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit.

Die Erfassung kann sowohl elektronisch, als auch durch eine Aufzeichnung in Papierform erfolgen.

Gleichzeitig hat das Gericht bekräftigt, dass der Arbeitgeber ein System zur Arbeitszeiterfassung jetzt schon einführen muss. Gesetzliche Änderungen sind nicht erforderlich. Wenn der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nachkommt, kann der Betriebsrat seine Mitbestimmungsrechte gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG in Verbindung mit § 3 Abs. 2 Nr. ArbSchG bzgl. der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung geltend machen und ausüben.

Die Praxishinweise

  • Der Arbeitgeber ist verpflichtet, ein System für die Arbeitszeiterfassung einzuführen.
  • Der Betriebsrat hat bezüglich der Einführung kein Initiativrecht, weil eine gesetzliche Verpflichtung für den Arbeitgeber besteht. Er hat also kein Mitbestimmungsrecht über das „ob“ der Einführung.
  • Der Betriebsrat hat aber ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG beim „Wie“, also bei der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung.
    Der Betriebsrat hat unabhängig vom System einen Anspruch auf Information über Beginn, Ende der Arbeitszeit, einschließlich der Pausen (§ 80 Abs. 2 BetrVG.